Systematisches Review zur Homöopathie:
Fragen und Antworten

27.09.2024, Harald J. Hamre* (1), Klaus von Ammon (2), Anja Glockmann (1), Helmut Kiene (1)

(1) Institute for Applied Epistemology and Medical Methodology at the Witten/Herdecke University,
Zechenweg 6, 79111 Freiburg, Germany *harald.hamre@ifaemm.de  www.ifaemm.de

(2) Rebbergstrasse 7, 8712 Stäfa, Switzerland

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Hamre HJ, Glockmann A, von Ammon K, Riley DS, Kiene H. Efficacy of homoeopathic treatment: Systematic review of meta-analyses of randomised placebo-controlled homoeopathy trials for any indication. Syst Rev 2023; 12(191). https://doi.org/10.1186/s13643-023-02313-2

 

Hintergrund

1. Warum wurde dieses systematische Review durchgeführt?

Der Ausgangspunkt für das systematische Review war die oft anzutreffende Annahme, Homöopathie würde insgesamt wie ein Placebo wirken. Um diese Hypothese zu überprüfen, kann man die randomisierten, Placebo-kontrollierten Homöopathiestudien für jegliche Indikation in einer Meta-Analyse zusammenstellen und untersuchen, ob eine Wirkung der Homöopathie über Placebo hinaus vorliegt oder nicht. Seit 1997 wurden mindestens sechs derartige Meta-Analysen durchgeführt. Sie unterschieden sich bezüglich Einschlusskriterien für Studien, Bewertung der Studienqualität und Datensynthese und kamen teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen. Um diese Unterschiede zu analysieren und zu einem Gesamtbild der Ergebnisse dieser Meta-Analysen zu gelangen, unterzogen wir die Meta-Analysen einem systematischen Review.

 

2. Warum haben Sie statt eines systematischen Reviews keine neue Meta-Analyse der klinischen Studien durchgeführt? 

Vor einer neuen, aktualisierten Meta-Analyse ist eine Gesamtbeurteilung der bisherigen Meta-Analysen sinnvoll, zumal die zwei größten der bisherigen Meta-Analysen (Linde 1997, Shang 2005) zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kamen. Hinzu kommt, dass in den zwei jüngsten Meta-Analysen die Studien zu individualisierter Homöopathie (Mathie 2014) bzw. nicht-individualisierter Homöopathie (Mathie 2017) getrennt untersucht wurden. Vor einer neuen Meta-Analyse wäre zu klären, ob man diese Homöopathieverfahren zusammen oder getrennt untersuchen sollte. Das alles gab genug Anlass, zunächst ein systematisches Review der schon vorhandenen Meta-Analysen durchzuführen. 

 

Methodik

3. Was ist ein systematisches Review?

Ein systematisches Review ist eine Übersicht über alle Forschungsarbeiten, die mit einer bestimmten Methodik zu einem spezifischen Thema durchgeführt wurden. Ein klassisches Beispiel sind systematische Reviews von klinischen Studien zu einer bestimmten Intervention bei einer spezifischen Erkrankung. Für solche systematischen Reviews gibt es strukturierte, Kriterien-basierte Methoden für Recherche, Identifizierung, Einschluss und Analyse der Studien (mehr dazu unter Pkt. ‎6). Das Review mündet in eine Synthese der wichtigsten Ergebnisse, typischerweise mit einer Aufzählung: „X von Y Studien hatten das Ergebnis Z“. Hierbei kann „Z“ z. B. „ein signifikanter Effekt von Homöopathie im Vergleich zu Placebo“ sein.

 

4. Wie unterscheiden sich systematische Reviews und Meta-Analysen?

Viele systematische Reviews sind auch Meta-Analysen. Bei Meta-Analysen enthält die Datensynthese nicht nur den Quotient „X von Y Studien zeigten einen signifikanten Effekt von Z“, sondern zusätzlich eine zusammenfassende Schätzung der Effektgröße für die „Y Studien“. Bei dieser meta-analytischen Effektgrößenschätzung werden für jede Einzelstudie die Anzahl der Patienten sowie die jeweilige Effektgröße und deren Streuung berücksichtigt. In dieser Hinsicht sind Meta-Analysen aussagekräftiger als der Quotient „X von Y Studien“. Eine meta-analytische Effektgrößenschätzung ist allerdings nur möglich, wenn die Ergebnisse der Studien in einer hierfür geeigneten Form vorliegen. 

 

5. Ihr Homöopathie-Review war ein systematisches Review von Meta-Analysen. Was bedeutet das?

Das Design war ein ‚systematisches Review von systematischen Reviews‘, auf Englisch auch ‚umbrella review‘ (Regenschirm-Review) genannt. Dabei war das Review auf systematische Reviews mit Meta-Analysen beschränkt. Unser Forschungsgegenstand waren also nicht die einzelnen Studien, sondern die Meta-Analysen zu den einzelnen Studien. Wir haben keine neue Meta-Analyse durchgeführt, unsere Datensynthese war demnach der Quotient „X von Y Meta-Analysen hatten Z“, wobei „Z“ nicht die Ergebnisse der einzelnen Studien waren, sondern die zusammenfassenden Effektgrößenschätzungen der einzelnen Meta-Analysen.

Zwar haben wir, wie es üblich ist, auch Merkmale der Einzelstudien, die in den jeweiligen Meta-Analysen beschrieben waren, zusammengestellt (vgl. auch Pkt. ‎24), doch spielten diese Daten nur eine untergeordnete Rolle.

 

6. Gibt es Regeln für die Erstellung eines systematischen Reviews?

Ja. Für ein systematisches Review gibt es heute vier Standards zu unterschiedlichen Aspekten eines Reviews, an die man sich halten sollte 

  • für das Protokoll des systematischen Reviews: PRISMA-P
  • für das Publikationsmanuskript: PRISMA-2020
  • für die Bewertung der methodischen Qualität der Untersuchungsinstrumente (hier der Meta-Analysen) gibt es mehrere Standards; wir benutzten: ROBIS
  • für die Bewertung der Qualität der Gesamtevidenz: GRADE

Diese Standards haben wir befolgt. 

 

7. Was ist ein Protokoll für ein systematisches Review und warum benötigt man es?

Ein Protokoll ist eine Art Bauplan für das geplante systematische Review. Die PRISMA-P-Checkliste enthält hierfür 26 Einzelpunkte. Im Protokoll sind u.a. zu benennen: 

  • die Forschungsfrage (vgl. Pkt. ‎8)
  • die Einschlusskriterien für die Untersuchungsobjekte (hier: für die Meta-Analysen, Pkt. ‎9)
  • die Hauptzielparameter (Pkt. ‎11)
  • der technische Umgang mit Daten (Recherche, Einschluss, Extraktion, Analyse, Synthese)

Im Protokoll soll die Methodik möglichst im Detail festgelegt werden. Das Protokoll soll im Voraus in ein öffentliches Register für Protokolle von systematischen Reviews eingetragen werden (vgl. unseren Protokoll-Eintrag und das vollständige Protokoll). Spätere Leser des publizierten systematischen Reviews können dann die Publikation mit dem Protokoll vergleichen und prüfen, inwieweit die Protokoll-Spezifikationen umgesetzt wurden und ob relevante Abweichungen vom Protokoll nachvollziehbar erläutert wurden.

 

8. Was waren die Forschungsfragen?

Die grundlegende Fragestellung war: Wirkt Homöopathie besser als Placebo oder nicht? Hierzu haben wir zwei spezifische Forschungsfragen formuliert (Antworten unter Pkt. ‎21):

  • Die erste Forschungsfrage war: Hat Homöopathie positive Effekte über Placebo hinaus – in Meta-Analysen zu randomisierten, Placebo-kontrollierten Homöopathiestudien für jegliche Indikation?
  • Die zweite Forschungsfrage war, populär gesagt: Inwieweit ist die erste Frage überhaupt sinnvoll? Darf man tatsächlich von einem gemeinsamen Effekt (oder Abwesenheit davon) sprechen — bei verschiedenen homöopathischen Therapieverfahren (z. B. individualisierte Homöopathie, klinische Homöopathie oder Komplexhomöopathie) und bei unterschiedlichen Erkrankungen (z. B. akut, chronisch)? Das entsprechende Analyseergebnis wird ‚statistische Homogenität / Heterogenität der Studienergebnisse‘ genannt.

 

9. Welche Meta-Analysen wurden in dieses systematische Review einbezogen? 

Einbezogen wurden Meta-Analysen zu randomisierten, Placebo-kontrollierten Homöopathiestudien für jegliche Indikation in der Humanmedizin. Ausgeschlossen waren Meta-Analysen ohne Untersuchung von Therapieeffekten und Meta-Analysen, die auf Studien zu bestimmten Indikationen beschränkt waren. Darüber hinaus gab es einige technische Kriterien, u.a. zum Mindestumfang der Forschungsberichte. 

 

10. Warum wurden andere Meta-Analysen und systematische Reviews nicht in dieses systematische Review einbezogen? 

Weil die Meta-Analysen mit den o.g. Merkmalen am besten geeignet sind, die unterliegende Fragestellung nach der Wirksamkeit von Homöopathie im Vergleich zu Placebo zu verfolgen. Nicht geeignet wären u.a. 

  • Meta-Analysen von Studien, die keine Placebo-Kontrollgruppen haben (denn in solchen Studien ist kein Vergleich mit Placebo möglich)
  • Meta-Analysen, die auf bestimmte Indikationen beschränkt sind (denn solche Meta-Analysen bieten kein aussagekräftiges Gesamtergebnis zur Wirksamkeit der Homöopathie)
  • Systematische Reviews ohne Meta-Analysen (denn solche systematischen Reviews sind weniger aussagekräftig als Reviews mit meta-analytischen Effektschätzungen). 

 

11. Was waren die wichtigsten Daten, die Sie den Meta-Analysen entnommen haben?

Diese Daten werden Hauptzielparameter genannt. Gemäß der ersten Forschungsfrage (Pkt. ‎8) waren es die zusammenfassenden Effektschätzungen für Homöopathie im Vergleich zu Placebo, die in den Meta-Analysen vorgenommen worden waren. Dabei berücksichtigten wir von jeder Meta-Analyse, sofern verfügbar, Effektschätzungen für zwei Studiengruppen:

  • die Gesamtheit der in der betreffenden Meta-Analyse eingeschlossenen Studien: unsere erste Hauptanalyse
  • die Untergruppe der Studien mit höherer methodischer Qualität (vgl. Pkt. ‎21), die somit ein geringeres Risiko von Verzerrung der Ergebnisse (auch ‚Bias‘ genannt) hatten: unsere zweite Hauptanalyse.

 

12. Was haben Sie selbst als Autoren bewertet?

Zwei der vier Standards für systematische Reviews (Pkt. ‎6) betreffen Bewertungen durch die Autoren die von uns vorgenommen wurden:

  • die methodische Qualität der Meta-Analysen bzw. deren Risiko von Bias (hierfür wurde in der Hauptsache ROBIS verwendet; Ergebnisse unter Pkt. ‎20)
  • Die Qualität der Gesamtevidenz für eine positive Wirkung von Homöopathie über Placebo hinaus (nach dem GRADE-Standard; Ergebnisse unter Pkt. ‎22).

 

13. Warum ist die Publikation Ihres systematischen Reviews so umfangreich?

Unsere Publikation besteht aus dem Hauptdokument und fünf zusätzlichen Dokumenten, zusammen etwa 120 Seiten. Alle erhobenen Einzeldaten aus den jeweiligen Meta-Analysen plus unsere Bewertungen ergeben viel Material. In den PRISMA-2020-Leitlinien zu systematischen Reviews wird empfohlen, alle erhobenen Daten zu veröffentlichen, damit nichts den Lesern vorenthalten wird. Somit können kundige Leser überprüfen, worauf die Analysen und Schlussfolgerungen beruhen. Dieser Empfehlung sind wir nachgekommen. 

 

Ergebnisse

14. Wie viele klinische Studien wurden im Rahmen der sechs Meta-Analysen bewertet?

Die sechs Meta-Analysen umfassten 17, 18, 22, 54, 89 bzw. 110 Studien mit verfügbaren Daten für zusammenfassende Effektschätzungen. Zusammengezählt ergibt sich so die Anzahl von 310 Studien. Nun sind manche Studien in mehr als eine Meta-Analyse aufgenommen worden (abhängig von den Einschlusskriterien der jeweiligen Meta-Analyse und vom Publikationsjahr). Wenn die mehrfach aufgenommenen Studien jeweils nur einfach gezählt werden, ergibt sich nach unserer Aufzählung die Anzahl von 182 verschiedenen Studien (Additional file 4, Suppl. Table 15: die 182 Zeilen zwischen erster und letzter Zeile).

 

15. Aus welchem Zeitraum stammen die Meta-Analysen und die darin einbezogenen klinischen Studien? 

Die Meta-Analysen wurden im Zeitraum von 1997 bis 2017 publiziert; die klinischen Studien stammten aus den Jahren 1943 bis 2014. 

 

16. Aus welchen Ländern stammten die Studien?

Nach den verfügbaren Daten aus drei Meta-Analysen stammten die Studien aus 18 verschiedenen Ländern; am häufigsten waren Großbritannien, Deutschland, USA, Indien und Frankreich vertreten.

 

17. Wie groß ist die Spannbreite der Teilnehmerzahlen der einbezogenen klinischen Studien?

Die Mindestzahl je Studie lag zwischen 5 und 28 Teilnehmern, die Höchstzahl zwischen 175 und 1573 Teilnehmern.

 

18. Welche Formen der Homöopathie waren in den Studien der sechs Meta-Analysen 
vertreten?

  • Zwei Meta-Analysen (Linde 1998, Mathie 2014) waren auf Studien zu individualisierter bzw. klassischer Homöopathie beschränkt. 
  • Eine Meta-Analyse (Mathie 2017) war auf nicht-individualisierte Homöopathieverfahren beschränkt, diese wurden meist in klinische Homöopathie, Komplexhomöopathie und Isopathie eingeteilt. 
  • In drei Meta-Analysen (Linde 1997, Cucherat 2000, Shang 2005) waren Studien zu allen Homöopathieverfahren (individualisiert und nicht-individualisiert) aufgenommen worden, der Anteil an individualisierter Homöopathie lag hier bei 15-18%. Unter den nicht-individualisierten Homöopathieverfahren waren klinische Homöopathie und Komplexhomöopathie am häufigsten vertreten (Table 7).

 

19. Wie war in den Meta-Analysen die methodische Qualität der klinischen Studien bewertet worden?

Die methodische Qualität von randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien wird anhand bestimmter Merkmale oder Komponenten bewertet. Viele solche Komponenten sind in Gebrauch. Die 10 häufigsten Komponenten in den Meta-Analysen von unserem Review sind in Table 8 aufgeführt. Als wichtige Komponenten werden vor allem die Durchführung der Randomisierung und die Verblindung der Teilnehmer und Wissenschaftler bezüglich der Verabreichung des Prüfmedikaments bzw. Placebos erachtet (Nr. 1-3 in Table 8). 

Für unser systematisches Review war vor allem die Einstufung von Studien von ‚methodisch höherer Qualität‘ wichtig (vgl. Pkt. ‎21). Hierfür haben wir drei Kriterien definiert, wovon alle drei erfüllt werden mussten:

  • Die Autoren der jeweiligen Meta-Analyse hatten eine solche Kategorie explizit benannt (z. B. ‚high quality‘, ‚reliable evidence‘) und definiert.
  • Je Meta-Analyse war höchstens eine solche Kategorie benannt worden. 
  • Die Einstufung als ‚High-quality‘-Stufe war auf Grundlage von mindestens 3 Qualitätskomponenten vorgenommen worden.

Die Kategorie ,höhere Qualität‘ war nach diesen Kriterien bei 4 der 6 Meta-Analysen dokumentiert worden. Die jeweiligen Kriterien basierten auf 8 (bei Linde 1997) bzw. 7 Komponenten (bei Mathie 2014 und Mathie 2017). Bei Shang 2005 blieb unklar, ob 3 oder 4 Komponenten verwendet worden waren (Table 5).

Der Anteil von ,High-Quality‘-Studien lag bei 6%, 14%, 19% bzw. 29% (Table 8). Bei drei Meta-Analysen konnten wir die Qualität der Homöopathiestudien mit der Qualität anderer klinischer Studien vergleichen: die anderen Studien waren aus der gesamten Medizin, mit gleichem Design, aus vergleichbarem Zeitraum und bewertet nach gleichen Kriterien. Dabei waren die Anteile der ‚High-Quality‘-Studien für Homöopathie signifikant höher (Homöopathie 19% vs. andere Studien 8% bei Shang 2005, der präziseste Vergleich) oder ähnlich hoch (bei Mathie 2014 und Mathie 2017, vgl. Table 9) als bei Studien zu anderen Therapieverfahren. Die Homöopathie steht also hinsichtlich Studienqualität nicht schlechter da als sonstige Therapieverfahren, es gibt generell Luft nach oben. Übrigens: für die Wirksamkeitsfrage sind die Ergebnisse und die absolute Anzahl der ‚High-Quality‘-Studien (Pkt. ‎21) wichtiger als deren Anteil unter allen Studien.

 

20. Wie ist Ihre Bewertung der methodischen Qualität der sechs Meta-Analysen ausgefallen?

Das Bewertungsinstrument ROBIS enthält Bewertungen von 28 Punkten und eine Gesamtbewertung der Studienqualität (Risiko für Bias ‚gering‘ ‚unklar‘ oder ‚hoch‘). Nach diesen Bewertungskriterien erhielten drei der Meta-Analysen die beste Bewertung ‚geringes Risiko‘ und drei Meta-Analysen die schlechteste Bewertung ‚hohes Risiko‘. Die drei Meta-Analysen mit geringem Risiko waren die älteste Meta-Analyse (Linde 1997 mit Zusatzanalysen in Linde 1999) und die zwei jüngsten Meta-Analysen (Mathie 2014 und Mathie 2017) (Ergebnisse aller Bewertungen in Table 10, Kommentare zu den Bewertungen der einzelnen Punkte hierfür in Additional file 1).

 

21. Was waren die Hauptergebnisse Ihres Systematischen Reviews?

Bezüglich der ersten Forschungsfrage über die Wirksamkeit von Homöopathie über Placebo hinaus (vgl. Pkt .‎11):

  • Erste Hauptanalyse: 5 der 6 Meta-Analysen enthielten eine zusammenfassende Effektschätzung für alle eingeschlossenen Studien. Alle 5 zeigten signifikant positive Effekte der Homöopathie, im Vergleich zu Placebo.
  • Zweite Hauptanalyse: 4 Meta-Analysen enthielten eine Effektschätzung nach Beschränkung auf ‚High-Quality‘-Studien (Pkt. ‎19). In 3 dieser 4 Meta-Analysen blieben die signifikanten positiven Effekte der Homöopathie erhalten, in 1 Meta-Analyse war der positive Effekt nunmehr nicht signifikant (Table 12).

Bezüglich der zweiten Forschungsfrage über einheitliche versus uneinheitliche Homöopathie-Effekte: 

  • Ein einheitlicher, positiver Effekt (statistische Homogenität) wurde für die individualisierte Homöopathie gefunden. 
  • Für die nicht-individualisierte Homöopathie wurde kein einheitlicher Effekt gefunden: Bei den Meta-Analysen mit nur oder überwiegend (82-85%) Studien zu nicht-individualisierter Homöopathie gab es also nicht einen einheitlichen Effekt, sondern mehrere, unterschiedliche Effekte (statistische Heterogenität). Dementsprechend können Effekte von nicht-individualisierter Homöopathie unterschiedlich groß und signifikant oder nicht signifikant ausfallen, je nach Erkrankung, verwendetem Homöopathikum u.a. (Additional file 3).

 

22. Wie ist Ihre Bewertung der Qualität der Gesamtevidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie im Vergleich zu Placebo ausgefallen?

Für solche Bewertungen sind heute die Empfehlungen der GRADE-Gruppe (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation) maßgebend. Für die spezifischen Fragen dieses systematischen Reviews waren sechs Publikationen der GRADE-Gruppe zu je einem Thema im Fokus: Risk of bias of individual trialsInconsistency/heterogeneity Risk of publication bias/small study biasImprecision, Indirectness und Occasions for rating up the quality of evidence. Nach den dort genannten Kriterien konnte die Qualität der Gesamtevidenz für Homöopathie als ‚hoch‘, ‚moderat‘, ‚niedrig‘ oder ‚sehr niedrig‘ bewertet werden. 

Die Qualität der Gesamtevidenz war ‚hoch‘ für individualisierte Homöopathie (in zwei Meta-Analysen untersucht), ‚moderat‘ für nicht-individualisierte Homöopathie (eine Meta-Analyse) und ‚moderat‘ für jegliche Homöopathie (drei Meta-Analysen). 

Nach Beschränkung der Evidenzquellen auf die drei Meta-Analysen mit geringem Verzerrungsrisiko (‚risk of bias‘. Pkt. ‎20) wurde die Qualität der Gesamtevidenz für jegliche Homöopathie nunmehr als ‚hoch‘ bewertet, die Bewertungen für individualisierte bzw. nicht-individualisierte Homöopathie blieben unverändert (ausführliche Beschreibung in Additional file 3, weiteres zu dieser Bewertung im Pkt. ‎30).

Auch hier haben wir mit entsprechenden Qualitätsbewertungen aus anderen systematischen Reviews verglichen: In einer Analyse von 608 Cochrane-Reviews zu Therapieverfahren aus der ganzen Medizin aus den Jahren 2013-2014 war die Qualität der Gesamtevidenz für Wirksamkeit anhand des jeweiligen primären Zielparameters ‚hoch‘ für nur 13 Prozent, ‚moderat‘ für 31 Prozent, ‚niedrig‘ für 32 Prozent und ‚sehr niedrig‘ für 24 Prozent der Therapien. Bei allen Limitierungen solcher Vergleiche ist die Bilanz für die Homöopathie schon beachtenswert.

 

23. Was waren die wichtigsten Gründe für Ihre Einstufungen der Qualität der Gesamtevidenz?

Die Evidenz aus Meta-Analysen von randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien gilt allgemein als die Evidenz mit dem geringsten Risiko von Bias. 

Bei allen drei Homöopathieverfahren (individualisiert, nicht-individualisiert, jegliches Homöopathieverfahren) zeigte die erste Hauptanalyse in allen verfügbaren Meta-Analysen einen positiven signifikanten Effekt von Homöopathie, im Vergleich zu Placebo. Dementsprechend wurde die Qualität der Gesamtevidenz am Anfang als hoch eingestuft. 

  • Für individualisierte Homöopathie (zwei Meta-Analysen) gab es keinen triftigen Grund, von dieser Einstufung abzuweichen. 
  • Für nicht-individualisierte Homöopathie (eine Meta-Analyse) war die positive Wirkung nach Beschränkung auf High-Quality-Studien nunmehr nicht signifikant; außerdem gab es hier nur drei High-Quality-Studien. Deshalb wurde die Qualität auf ‚moderat‘ heruntergestuft.
  • Für jegliche Homöopathie (drei Meta-Analysen) gab es diesbezüglich zwei Probleme mit der Meta-Analyse von Shang 2005: Erstens war für die 110 eingeschlossenen Homöopathiestudien keine zusammenfassende Effektschätzung veröffentlicht worden. Zweitens wurde bei einer späteren bibliometrischen Untersuchung (Mathie 2013) 41 zusätzliche Studien identifiziert, die die Einschlusskriterien für Shang 2005 hätten erfüllen können, jedoch von den Autoren nicht identifiziert worden waren. Somit blieb die Evidenz aus dieser Meta-Analyse unsicher, und weil sie die letzte und größte Meta-Analyse zu jeglicher Homöopathie war, wurde die Qualität der Gesamtevidenz für jegliche Homöopathie von ‚hoch‘ nach ‚moderat‘ heruntergestuft. 

 

24. Könnte es durch den Einschluss derselben Studien in mehrere Meta-Analysen zu einer Verzerrung der Ergebnisse Ihres systematischen Reviews gekommen sein? 

Nein. Das Hauptergebnis unseres Reviews (Pkt. ‎21) war der Anteil von Meta-Analysen mit signifikant positiven Effekten von Homöopathie über Placebo hinaus, also ein Quotient, keine Summe oder Multiplikation. Die mehrfache Verwendung derselben Studien in verschiedenen Metaanalysen (Pkt.‎14) ergab deshalb keine additive oder multiplikative Vergrößerung von Effekten, die eine Verzerrung der Ergebnisse unseres systematischen Reviews nach oben bedeuten würde.

 

25. Aber könnten nicht die in mehrere Meta-Analysen eingeschlossenen Studien rein zufällig bessere (häufiger statistisch signifikant positive) Ergebnisse gehabt haben, wodurch das Gesamtergebnis des systematischen Reviews ins Positive verzerrt wurde?

Das wäre denkbar, aber die mehrfach verwendeten Studien (Pkt. ‎14) könnten auch schlechtere Ergebnisse als die einfach verwendeten Studien haben. Die Studien wurden ja nicht aufgrund ihrer Ergebnisse in mehreren Meta-Analysen eingeschlossen, sondern weil sie deren Einschlusskriterien erfüllten und zum jeweiligen Zeitpunkt publiziert waren. So war der Anteil von Studien mit einem signifikant positiven Homöopathie-Effekt im Vergleich zu Placebo

  • bei Zusammenzählung aller Studien in allen Meta-Analysen: 36,5% (n = 113/310) (vgl. Publikation: Interventions, results), 
  • bei nur einmaliger Berücksichtigung jeder mehrfach verwendeten Studie (vgl. Pkt. ‎14): 36,3% (n = 66/182) 

Der Unterschied von 0,2% ist irrelevant und statistisch nicht signifikant (p = 0,9444), es gab also keine Verzerrung.

 

26. Sind die positiven Ergebnisse durch Kontext- und Zuwendungseffekte erklärbar?

Nein. In allen Studien der sechs Meta-Analysen, die in unser systematisches Review eingingen, erhielten die Kontrollpatienten ein Placebo. Dadurch kann gerade die Wirkung von Kontext- und Zuwendungseffekten, Beobachtungsbias usw. herausgerechnet und die darüber hinaus gehende Wirkung dem Prüfmittel – nämlich dem Homöopathikum – zugeschrieben werden.

 

27. Gibt es sonst Einschränkungen Ihres systematischen Reviews?

Es gibt folgende Einschränkungen:

  • Das Review war auf Meta-Analysen zum humanmedizinischen Einsatz von Homöopathie beschränkt, Homöopathie in der Veterinärmedizin war nicht vertreten. 
  • Für vier untersuchte Untergruppen von Patienten (Erwachsene, Kinder, Patienten mit akuter bzw. chronischer Erkrankung) gab es nur spärliche Daten.
  • In den Meta-Analysen waren Studien zu Homöopathika zur Anwendung in anthroposophischer Medizin, Homotoxikologie oder Radionik ausgeschlossen oder nur spärlich vertreten. Dasselbe gilt für Studien zur Prävention statt zur Therapie existierender Symptomatik. 
  • Die Wirksamkeit von Homöopathie bei spezifischen Indikationen war nicht Gegenstand des Reviews. 

 

28. Was waren die überraschendsten Befunde für Sie bei der Arbeit mit dem Review?

Die Vergleiche bezüglich methodischer Qualität der Homöopathiestudien (Pkt.‎19) und der Qualität der Gesamtevidenz für Wirksamkeit der Homöopathie (Pkt. ‎22) mit entsprechenden Qualitätsbewertungen anderer Studien und systematischen Reviews haben uns verblüfft. In der Literatur sind Qualitätsmängel von randomisierten Homöopathiestudien öfters kommentiert worden. Der Vergleich zeigte dagegen eine mindestens ähnlich gute Qualität bei den Homöopathiestudien wie bei anderen Studien, dasselbe war für die Qualität der Gesamtevidenz für Homöopathiewirksamkeit der Fall. 

Ein anderer markanter Befund war die ganz konträr ausfallende Bewertung der methodischen Qualität der sechs Meta-Analysen: Von drei möglichen Bewertungskategorien erhielten drei der Meta-Analysen die beste Bewertung, drei die schlechteste und keine Meta-Analyse erhielt die mittlere Bewertung. Auffällig war hier das Top-Abschneiden — nicht nur der zwei jüngsten Meta-Analysen von 2014 und 2017, sondern auch der ältesten von 1997 (Pkt. ‎20).

 

Schlussfolgerungen

29. Welche Schlussfolgerungen haben Sie aus Ihrem systematischen Review gezogen?

Nach diesem systematischen Review kann Homöopathie positive Effekte über Placebo hinaus bei kranken Menschen haben. Wohlgemerkt: dieses systematische Review basiert auf der besten verfügbaren Evidenz — auf Meta-Analysen zu randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien — und es wurde unter Befolgung heutiger Standards durchgeführt und publiziert. 

Dieser neue Kenntnisstand legitimiert den Platz der Homöopathie in der Krankenversorgung und berechtigt zu keiner Maßnahme dagegen.

Bezüglich weiterer Forschung unterschieden sich die Implikationen des systematischen Reviews hinsichtlich der verschiedenen Homöopathieverfahren: 

  • Für die individualisierte, klassische Homöopathie wäre ein Update zur letzten Meta-Analyse von randomisierten Placebo-kontrollierten Studien für jegliche Indikation (Mathie 2014) sinnvoll.
  • Für nicht-individualisierte Homöopathie waren die Effekte in unserem systematischen Review durchgängig statistisch heterogen. Dementsprechend sollte man künftige Meta-Analysen zu nicht-individualisierter Homöopathie eher auf bestimmte Interventionen und/oder bestimmten Erkrankungen eingrenzen.

 

30. Inwiefern kommt dieses systematische Review zu anderen Bewertungen der einbezogenen klinischen Studien als die Autoren der bisherigen Meta-Analysen? Wie lässt sich dies erklären? 

Im Vergleich zu den Schlussfolgerungen in den sechs Meta-Analysen sind unsere Schlussfolgerungen eindeutiger positiv bezüglich Wirksamkeit der Homöopathie über Placebo hinaus. Hierfür gibt es mehrere Gründe: 

  • Die Autoren der jeweiligen Meta-Analyse bewerteten nur ihre eigenen Ergebnisse, wir konnten darüber hinaus Methodik und Ergebnisse aller sechs Meta-Analysen miteinander vergleichen.
  • Die Autoren der jeweiligen Meta-Analyse bewerteten nur die methodische Qualität der aufgenommenen Studien, wir konnten darüber hinaus die methodische Qualität der Meta-Analysen bewerten.
  • Der wichtigste Grund: In wissenschaftlichen Publikationen sollen die jeweiligen Schlussfolgerungen zwar die wichtigsten Ergebnisse einbeziehen, doch sind die Schlussfolgerungen üblicherweise subjektiv und Kontext-abhängig. Das war in unserem systematischen Review anders: Unsere Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit der Homöopathie ergaben sich aus einer Kriterien-gestützten Bewertung der Gesamtevidenz, nach GRADE. GRADE ist ein detailliertes, klug konzipiertes System mit einem guten Gleichgewicht zwischen Regeln, Empfehlungen und individueller Beurteilung.

 

Wie geht es weiter?

31. Gibt es mittlerweile relevante neue klinische Studien zur Homöopathie, die in die bisherigen Meta-Analysen zeitlich nicht einbezogen sind

Durchaus. Die HOMIS-Studiendatenbank am Institut für Komplementäre und Integrative Medizin der Universität Bern enthält Angaben zu randomisierten und anderen kontrollierten klinischen Homöopathiestudien. Für die individualisierte Homöopathie wäre eine neue Meta-Analyse sinnvoll (vgl. Pkt. ‎29). Für den Zeitraum 2014-2021 (seit der letzten diesbezüglichen Meta-Analyse von Mathie 2014) listet HOMIS einen Zuwachs an 26 randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien zu individualisierter Homöopathie auf, davon 23 Studien mit Peer-Review-Publikation. Wie viele davon tatsächlich alle Einschlusskriterien eines künftigen systematischen Reviews erfüllen würden und zudem Ergebnisse haben, die für eine Meta-Analyse kompatibel wären, sei hier offengestellt.

 

© Creative Commons CC BY-ND 4.0. 
https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/ 

 

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